Wenn Sie in einer Eigentümergemeinschaft wohnen, kennen Sie sicher das lästige Wort Zustimmungsbedürftige Maßnahmen. Wer etwas am Gemeinschaftseigentum verändern will - sei es ein neuer Fenstereinbau oder eine Solaranlage auf dem Dach - muss erst die Erlaubnis aller betroffenen Nachbarn einholen. Dieser Artikel erklärt, welche Baumaßnahmen wirklich einer Genehmigung bedürfen, wie Sie den Antrag richtig stellen und welche Stolperfallen in der Praxis häufig auftreten.
Grundlagen: Was das WEG überhaupt verlangt
Wohnungseigentumsgesetz (WEG) regelt die Rechtsbeziehungen zwischen Wohnungseigentümern und definiert, welche Maßnahmen am Gemeinschaftseigentum zustimmungsbedürftig sind und legt fest, wie Beschlüsse zustande kommen. Die entscheidende Norm ist § 20 Abs. 1 WEG, der bauliche Veränderungen als jede „auf Dauer angelegte Maßnahme, die über die ordnungsgemäße Instandhaltung oder Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums hinausgeht und dessen ursprünglichen Zustand verändert“ definiert.
Die Teilungserklärung ist das notariell beurkundete Dokument, das das Grundstück in Sondereigentum und Gemeinschaftseigentum aufteilt und individuelle Rechte und Pflichten festlegt. Sie kann zusätzlich zu den gesetzlichen Vorgaben eigene Zustimmungspflichten festlegen - zum Beispiel ein extra hohes Quorum für Fassadenarbeiten.
Welche Maßnahmen sind zustimmungspflichtig?
Im Alltag gibt es einige typische Baumaßnahmen, die fast immer einer Genehmigung bedürfen. Die wichtigsten Beispiele im Überblick:
- Änderungen an tragenden Wänden - die Statik der gesamten Anlage ändert sich.
- Einbau neuer Fenster oder Balkontüren - diese gehören zum Gemeinschaftseigentum und beeinflussen das äußere Erscheinungsbild.
- Installation von Klimaanlagen, Satellitenschüsseln oder Antennen an der Fassade.
- Vergrößerung von Wohnflächen durch Wintergärten, Dachterrassen oder Aufstockungen.
- Photovoltaikanlagen auf dem Dach oder Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge.
Im Gegensatz dazu stehen reine Instandhaltungsmaßnahmen wie das Streichen von Treppenhauswänden oder das Ersetzen von defekten Türschlössern - diese benötigen keine Zustimmung.
Verfahren in der Eigentümerversammlung
Der formale Ablauf läuft immer über die Eigentümerversammlung ist das beschlussfassende Organ der Wohnungseigentümergemeinschaft, in dem Anträge zu baulichen Maßnahmen gestellt und abgestimmt werden. Der Ablauf lässt sich in vier Schritte gliedern:
- Antragstellung: Der Eigentümer reicht schriftlich einen detaillierten Antrag ein. Die Unterlagen sollten Beschreibung, Zeichnungen, Kostenschätzung und ggf. statische Berechnungen enthalten.
- Einberufung: Die Hausverwaltung muss die Versammlung gemäß § 23 ff. WEG fristgerecht einberufen. Bei dringenden Maßnahmen kann auch eine außerordentliche Versammlung einberufen werden.
- Diskussion & Beschluss: In der Versammlung diskutieren die Eigentümer den Antrag. Seit der Reform 2020 genügt für bauliche Veränderungen in der Regel die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wenn keine besonderen Umstände vorliegen.
- Dokumentation: Das Ergebnis wird protokolliert, die Beschlüsse sind für alle Eigentümer verbindlich. Bei mehrheitlichen Ablehnungen können betroffene Eigentümer ggf. gerichtliche Schritte prüfen.
Besondere Fälle: Privilegierte und nicht‑privilegierte Maßnahmen
Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen privilegierten und nicht‑privilegierten Änderungen. Privilegierte Maßnahmen nach § 20 Abs. 2 WEG - zum Beispiel barrierefreie Umbauten - haben einen Anspruch auf Beschlussfassung. Wird der Antrag abgelehnt, kann der Eigentümer die Zustimmung gerichtlich einklagen.
Bei nicht‑privilegierten Maßnahmen gilt: Der Eigentümer muss die Zustimmung allerjenigen Eigentümer einholen, deren Rechte konkret betroffen sind (§ 22 Abs. 1 und § 14 WEG). Praktisch heißt das: Wenn eine Maßnahme die Optik der Fassade ändert, müssen alle Eigentümer, die das Gebäude von außen sehen, zustimmen.
Beispieltabelle: Maßnahme - Betroffene Eigentümer - Erforderliche Mehrheit
| Maßnahme | Betroffene Eigentümer | Erforderliche Mehrheit |
|---|---|---|
| Einbau neuer Fenster | Alle Eigentümer (Fassade) | Einfache Mehrheit |
| Alteration tragender Wand | Alle Eigentümer (Statik) | Einfache Mehrheit + Nachweis Statik |
| Klimaanlage an Südwand | Direkt betroffene Wohnung + alle Nachbarn mit Sichtkontakt | Einfache Mehrheit |
| Wintergarten am Balkon | Betroffene Wohnung + Eigentümer mit Ausblick | Einfache Mehrheit, ggf. Sonderzustimmung |
| Photovoltaik‑Anlage auf Dach | Alle Eigentümer (Dachfläche) | Einfache Mehrheit, bei Regenwasser‑Nutzung ggf. 75 % |
Praxis-Tipps: So stellen Sie den Antrag richtig
Damit Ihr Antrag nicht im Sande verläuft, beachten Sie diese Punkte:
- Vollständige Unterlagen: Grundriss, Statiknachweis, Kostenplan und, falls nötig, Genehmigungen der Baubehörde beilegen.
- Frist beachten: Die Versammlung muss den Antrag innerhalb von vier Wochen behandeln, wenn die Teilungserklärung keine andere Frist vorsieht.
- Kostenverteilung klar regeln: Die jeweiligen Miteigentumsanteile bestimmen den Anteil jedes Eigentümers an den Entstehungskosten.
- Kommunikation: Informieren Sie Nachbarn frühzeitig über Vorhaben - das reduziert Widerstand und Konflikte.
- Hausverwaltung einbinden: Sie kann den Antrag formatieren, die Versammlung einberufen und die Beschlussprotokolle führen.
Typische Streitigkeiten und wie man sie vermeidet
Die häufigsten Konflikte drehen sich um Fassadenarbeiten, Fenstertausch und technische Installationen. Gerichte - etwa der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste deutsche Zivilgericht, das in Fragen des Wohnungseigentums häufig für Grundsatzentscheidungen sorgt - haben wiederholt betont, dass sogar kleine Markisen als bauliche Veränderung gelten können, wenn sie das äußere Erscheinungsbild verändern.
Um solche Auseinandersetzungen zu verhindern, sollten Sie:
- Frühzeitig prüfen, ob die geplante Maßnahme zu den privilegierten oder nicht‑privilegierten Kategorien gehört.
- Alle betroffenen Nachbarn schriftlich informieren und ggf. ein Beratungsgespräch anbieten.
- Im Antrag klar darlegen, welchen Nutzen die Maßnahme für die Gemeinschaft hat (z. B. Wertsteigerung durch Energieeffizienz).
- Im Streitfall einen Mediator oder Fachanwalt für Miet‑ und Wohnungseigentumsrecht einschalten, bevor es zu einem Gerichtsverfahren kommt.
Zukünftige Entwicklungen: Was kommt auf die Zustimmungspflicht zu?
Durch die Energiewende steigen Anträge für Solaranlagen, Batteriespeicher und Ladestationen. Die Deutsche Anwaltsakademie prognostiziert, dass die Zahl zustimmungsbedürftiger Anträge bis 2026 um rund 15 % pro Jahr wachsen wird. Gleichzeitig erleichtert die Digitalisierung von Eigentümerversammlungen - ein Ergebnis der WEG‑Reform 2020 - den Ablauf: Online‑Abstimmungen, digitale Protokolle und elektronische Antragstellung reduzieren den Zeitaufwand erheblich.
Für Eigentümer bedeutet das, dass rechtzeitige Vorbereitung und digitale Dokumentation immer wichtiger werden. Ein gut strukturierter, elektronisch eingereicherter Antrag hat höhere Erfolgschancen und kann die Diskussion in der Versammlung verkürzen.
Muss ich immer die gesamte Eigentümergemeinschaft informieren?
Ja. Bei baulichen Veränderungen, die das Gemeinschaftseigentum betreffen, müssen alle betroffenen Eigentümer in die Entscheidung einbezogen werden. Der Antrag muss daher an die Hausverwaltung gehen, die die Information an die Gemeinschaft weiterleitet.
Wie hoch ist die Mehrheit, die für einen Beschluss nötig ist?
Seit der Reform 2020 reicht für die meisten baulichen Maßnahmen eine einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen aus. Bei Maßnahmen, die die Statik betreffen oder in der Teilungserklärung besondere Quoren festgelegt sind, kann ein höheres Quorum verlangt werden.
Kann ich die Zustimmung eines einzelnen Eigentümers erzwingen?
Nur, wenn die Maßnahme zu den privilegierten Änderungen nach § 20 Abs. 2 WEG gehört. In diesem Fall hat der Antragsteller einen Rechtsanspruch auf Beschlussfassung; verweigert die Gemeinschaft die Zustimmung, kann er gerichtlich vorgehen.
Was kostet ein Antrag auf bauliche Veränderung?
Die reinen Kosten hängen von der Art der Maßnahme ab. Hinzu kommen jedoch Verwaltungskosten für die Vorbereitung des Antrags, mögliche Gutachterhonorare und eventuell Anwaltskosten, wenn ein Rechtsstreit entsteht. Eine klare Kostenaufstellung im Antrag erleichtert die Beschlussfindung.
Wie geht es weiter, wenn die Versammlung den Antrag ablehnt?
Der Eigentümer kann prüfen, ob die Ablehnung rechtlich zulässig war. Bei privilegierten Maßnahmen kann er die Entscheidung gerichtlich anfechten. Bei nicht‑privilegierten Maßnahmen bleibt die Ablehnung bestehen, es sei denn, man findet einen Kompromiss oder ändert die Teilungserklärung.
Geschrieben von Jens Schreiber
Zeige alle Beiträge von: Jens Schreiber