Was ist eigentlich eine Altlast?
Wenn Sie ein Grundstück kaufen, denken Sie an Garten, Lage, Preis - aber haben Sie auch an den Boden gedacht? Unter Altlasten versteht man kontaminierte Flächen, die durch frühere Nutzungen verschmutzt wurden. Das kann eine alte Werkstatt sein, eine ehemalige Tankstelle, ein verlassener Betrieb mit Chemieabfällen - oder sogar ein früherer Acker, auf dem Pestizide verwendet wurden. Laut dem Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG) zählt alles dazu, was heute noch Schadstoffe im Boden oder Grundwasser hinterlässt und eine Gefahr für Mensch oder Umwelt darstellt.
Das Problem: Sie brauchen nicht derjenige zu sein, der die Verschmutzung verursacht hat. Wer das Grundstück heute kauft, übernimmt automatisch die Verantwortung. Das ist kein Mythos, das ist deutsches Recht. Und es kann Sie tausende, manchmal hunderttausende Euro kosten.
Warum Sie nicht einfach „aufs Vertrauen“ kaufen dürfen
Viele Käufer denken: „Der Verkäufer hat doch gesagt, alles ist in Ordnung.“ Oder: „Der Makler hat versichert, hier ist nichts.“ Aber das zählt rechtlich nicht. Selbst wenn der Verkäufer lügt oder der Makler sich irrte - die Haftung liegt bei Ihnen. Sobald Ihr Name im Grundbuch steht, sind Sie der Zustandsverantwortliche. Das ist der Kern des deutschen Altlastenrechts.
Ein Beispiel: Ein Paar kauft 2024 ein ehemaliges Autowerkstattgrundstück in Leipzig für 180.000 Euro. Ein Jahr später bekommt die Stadt eine Anzeige von einem ehemaligen Mitarbeiter, der erzählt, dass dort jahrelang Öle und Lösungsmittel abgekippt wurden. Die Behörde ordnet eine Bodenuntersuchung an - und findet Benzolwerte, die das 20-Fache des Grenzwerts erreichen. Die Sanierungskosten: 145.000 Euro. Der Verkäufer ist längst verstorben. Der Makler hat keine Ahnung gehabt. Die neue Familie zahlt - und hat jetzt eine Schuld von über 300.000 Euro, obwohl sie nichts falsch gemacht haben.
Diese Geschichte passiert öfter, als man denkt. Laut dem Bundesverband Deutscher Boden-, Grundwasser- und Altlastenunternehmen (BDBA) wurden 2023 über 39.000 Bodenuntersuchungen vor Kauf durchgeführt - das ist ein Anstieg von 37 Prozent seit 2019. Die Zahl der Fälle steigt, weil immer mehr Industriebrachen in Wohngebiete umgewandelt werden. Was früher unter der Erde lag, kommt jetzt ans Licht.
Wie Sie vor dem Kauf prüfen, was unter der Erde ist
Es gibt drei Schritte, die jeder Käufer machen muss - nicht nur bei alten Fabrikgeländen, sondern auch bei einfachen Einfamilienhäusern in der Stadt.
- Altlastenauskunft bei der Behörde beantragen. Jede Kommune hat ein Umweltamt, das das Altlastenkataster führt. Dort können Sie kostenlos oder gegen eine geringe Gebühr (50-150 Euro) abfragen, ob das Grundstück als verdächtig eingestuft ist. In manchen Städten wie München oder Frankfurt gibt es sogar Online-Portale. Aber: Ein „nicht eingetragen“-Eintrag bedeutet nicht „sicher“. Nur wenn eine konkrete Gefahr nachgewiesen wurde, wird sie offiziell erfasst. Viele Flächen sind nur „verdächtig“ - und das reicht schon, um eine Untersuchung zu veranlassen.
- Historie des Grundstücks recherchieren. Wie war das Grundstück früher genutzt? Fragt bei der Stadt nach alten Gewerbe- und Baugenehmigungen. Schaut euch alte Luftbilder an - die meisten Städte haben digitale Archive. Ein ehemaliger Schmied, eine Tankstelle aus den 70ern, ein kleiner Chemiehandel - das alles kann heute noch Schadstoffe hinterlassen. Prof. Dr. Sabine Schlacke vom Institut für Bodenschutz sagt: „Recherchieren Sie mindestens 100 Jahre zurück. Selbst landwirtschaftliche Nutzung vor 1950 kann mit Altlasten verbunden sein.“
- Eine Bodenuntersuchung in Auftrag geben. Das ist der einzige echte Schutz. Ein Bodengutachten kostet zwischen 1.000 und 2.500 Euro - je nach Größe und Komplexität. Es wird von einem zertifizierten Sachverständigen durchgeführt. Er entnimmt Proben, analysiert sie im Labor und sagt klar: „Gefährdet“ oder „nicht gefährdet“. Kein Makler, kein Verkäufer, kein Amt ersetzt das.
Die meisten Käufer sparen hier. Und zahlen später doppelt. Denn eine Sanierung kostet im Durchschnitt 50.000 bis 500.000 Euro. Und das ist nur der Anfang.
Was im Kaufvertrag stehen muss - und was nicht
Ein Kaufvertrag ohne Altlasten-Klausel ist wie ein Auto ohne Airbag. Sie brauchen zwei Dinge:
- Eine ausdrückliche Garantie der Altlastenfreiheit vom Verkäufer. Das muss schriftlich stehen: „Der Verkäufer garantiert, dass das Grundstück frei von Altlasten im Sinne des BBodSchG ist.“
- Eine Haftungsvereinbarung für Sanierungskosten. Noch besser: „Sollten sich nach dem Kauf Altlasten herausstellen, übernimmt der Verkäufer alle Kosten für die Sanierung, bis zu einem Betrag von [X Euro].“
Verkäufer akzeptieren das selten - aber nicht unmöglich. Wer sein Grundstück schnell verkaufen will, zahlt oft einen höheren Preis, um die Haftung abzugeben. Ein guter Makler weiß das. In einer Bewertung auf Trustpilot schreibt ein Käufer: „Durch die vertragliche Festlegung, dass der Verkäufer für Altlasten aufkommt, konnten wir unseren Kunden vor unerwarteten Kosten schützen.“
Was nicht hilft: „Ich habe keine Ahnung von Altlasten.“ Oder „Der Verkäufer hat mir gesagt, alles ist okay.“ Das ist kein rechtlicher Schutz. Es ist ein Risiko - und das tragen Sie allein.
Was passiert, wenn Sie es trotzdem ignorieren?
Wenn die Behörde später eine Altlast entdeckt, bekommen Sie einen Sanierungsbescheid. Das ist kein Vorschlag. Das ist eine rechtliche Anordnung. Sie müssen:
- Die Schadstoffe entfernen oder abdichten
- Das Grundwasser überwachen
- Eventuell das Grundstück für Jahre unbewohnbar machen
Und das alles auf Ihre Kosten. Die Sanierung dauert im Durchschnitt 18 bis 24 Monate. Bei komplexen Fällen bis zu fünf Jahre. Währenddessen können Sie das Grundstück nicht verkaufen, nicht vermieten, nicht bauen. Der Wert des Grundstücks sinkt um 35 bis 60 Prozent. Und selbst wenn Sie es später verkaufen: Jeder neue Käufer wird wieder eine Bodenuntersuchung verlangen. Sie bleiben an der Altlast haften - bis sie vollständig beseitigt ist.
Ein Fall aus Berlin: Ein Investor kaufte 2022 ein ehemaliges Lagerhaus für 450.000 Euro. Ohne Untersuchung. Zwei Jahre später: 210.000 Euro Sanierungskosten, 18 Monate Baustelle, Verkaufswert nach Sanierung: 380.000 Euro. Er hat 280.000 Euro verloren - und noch immer kein Einkommen aus dem Grundstück.
Wie sich Deutschland mit anderen Ländern unterscheidet
In Deutschland ist die Zustandsverantwortlichkeit besonders streng. Der aktuelle Eigentümer haftet - egal, ob er wusste, ob er konnte, ob er wollte. In den Niederlanden oder in Dänemark haftet nur der Verursacher - oder nur, wenn der Käufer grob fahrlässig war. In Österreich muss erst eine konkrete Gefahr nachgewiesen werden, bevor Sanierungspflichten entstehen. In Deutschland reicht der Verdacht.
Warum das so ist? Weil die Verursacher oft nicht mehr existieren. Firmen sind pleite, Personen sind verstorben, Dokumente sind verloren. Ohne Zustandsverantwortlichkeit würden Hunderttausende Quadratmeter kontaminierte Flächen einfach liegenbleiben. Die Politik hat sich entschieden: Wer heute das Grundstück hat, muss es auch in Ordnung bringen. Das ist fair - für die Umwelt. Aber es ist hart - für den Käufer.
Was sich 2025 ändert - und warum Sie jetzt handeln müssen
Seit Januar 2024 gilt eine novellierte Bodenschutzverordnung. Sie verschärft die Prüfpflichten für Käufer und Behörden. Außerdem plant die Bundesregierung bis 2027 eine Digitalisierung der Altlastenkataster - ein bundesweit einheitliches System, das alle Flächen abfragbar macht. Das bedeutet: In Zukunft wird es noch einfacher, Altlasten nachzuweisen. Und noch schwieriger, sich zu verstecken.
Experten warnen: „Die Zahl der Altlastenfälle wird in den nächsten zehn Jahren weiter steigen.“ Warum? Weil immer mehr ehemalige Industrie- und Gewerbeflächen in Wohngebiete umgewandelt werden. Was früher unter Beton und Asphalt verborgen war, wird jetzt freigelegt - und dann wird es teuer.
Die Sanierungsquote in Deutschland liegt bei nur 2,8 Prozent pro Jahr - die EU will 3,5 Prozent. Wir sind im Mittelfeld. Das heißt: Viele Flächen warten noch auf Sanierung. Und Sie könnten der Nächste sein.
Was Sie jetzt tun müssen
Wenn Sie ein Grundstück kaufen - egal ob in Wien, Berlin oder München - dann machen Sie das:
- Prüfen Sie das Altlastenkataster. Fragt bei Ihrer Stadt nach - nicht erst nach dem Kauf.
- Recherchieren Sie die Historie. Wie war das Grundstück früher genutzt? Nutzen Sie Archive, alte Karten, Fotos.
- Buchen Sie eine Bodenuntersuchung. Das ist kein Luxus. Das ist Versicherung. 1.500 Euro sind nichts gegen 150.000 Euro Sanierung.
- Schreiben Sie die Garantie in den Kaufvertrag. Ohne das: Kein Vertrag.
- Vertrauen Sie niemandem - nicht dem Makler, nicht dem Verkäufer, nicht der Behörde. Nur das Gutachten zählt.
Ein Grundstück ist eine der größten Investitionen Ihres Lebens. Der Boden darunter ist der unsichtbare Teil. Und er kann Sie ruinieren - wenn Sie ihn ignorieren.
Geschrieben von Jens Schreiber
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