Stell dir vor, dein Mehrfamilienhaus bekommt eine neue, klimafreundliche Heizung und Solaranlage - ohne dass du einen Cent dafür ausgeben musst. Keine Baustelle, keine Finanzierung, keine Wartung. Das klingt nach einem Traum, ist aber in Österreich und Deutschland Realität: Energie-Contracting. Es ist kein Zauber, sondern ein klug strukturiertes Geschäftsmodell, das Gebäudeeigentümer und Mieter gleichermaßen von moderner Energieversorgung profitieren lässt. Aber es hat auch Fallstricke. Wer es nicht versteht, läuft Gefahr, langfristig mehr zu zahlen - oder wichtige Rechte zu verlieren.
Was ist Energie-Contracting wirklich?
Energie-Contracting ist kein Vertrag mit dem Stromversorger. Es ist eine langfristige Partnerschaft mit einem spezialisierten Dienstleister, dem Contractor. Der übernimmt alles: Planung, Finanzierung, Installation, Betrieb und Wartung von Energieanlagen - von Solarpanelen auf dem Dach bis hin zu Blockheizkraftwerken im Keller. Der Eigentümer des Gebäudes zahlt nicht für die Anlage, sondern für die Energie, die er verbraucht. Wie bei einem Gas- oder Stromliefervertrag - nur dass hier der Contractor auch der Besitzer der Technik ist. Das ist der Kern: Du bekommst Wärme, Strom oder beides - und der Contractor trägt das Risiko, wenn die Anlage schlechter läuft als versprochen. Das ist der große Vorteil. Aber auch der Punkt, bei dem viele Fehler passieren.Drei Modelle - welches passt zu deinem Haus?
Nicht alle Contracting-Verträge sind gleich. Es gibt drei Hauptformen, und die Wahl entscheidet darüber, wer was bezahlt, wer was kontrolliert und wer das Risiko trägt.- Energieliefer-Contracting (ELC): Der Contractor baut die Anlage, betreibt sie und verkauft dir die Energie direkt. Du zahlst einen festen Preis pro kWh - für Strom, Wärme oder beides. Der Contractor ist Eigentümer der Anlage und trägt alle Kosten. Dieses Modell ist am häufigsten in Mehrfamilienhäusern. Beispiel: Ein Haus in Graz mit 24 Wohnungen bekommt eine Solaranlage auf dem Dach. Der Contractor verkauft den Strom an die Mieter - und die zahlen nur für das, was sie verbrauchen. Überschuss wird ins Netz eingespeist - der Contractor kassiert die Einspeisevergütung.
- Betriebsführungs-Contracting: Hier wird die Anlage zwar vom Contractor gebaut und betrieben, aber die Mieter beziehen den Strom direkt von einem anderen Anbieter - oft unter einer Eigenmarke. Das ist besonders bei großen Wohnungsbaugesellschaften beliebt. Ein Beispiel ist das Dolgensee-Center in Berlin: SOLARIMO betreibt die Solaranlage, aber der Strom läuft unter der Marke "Quartier-Strom" der GEWOBAG. Die Mieter sehen den Namen ihrer Wohnungsgesellschaft, nicht den des Contractors.
- Einspar-Contracting (ESC): Hier geht es nicht um neue Anlagen, sondern um Einsparung. Der Contractor modernisiert das ganze Gebäude: Dämmung, Fenster, Heizung, Lüftung - und verspricht, die Energiekosten um einen bestimmten Prozentsatz zu senken. Wenn er das nicht schafft, zahlt er den Unterschied. Das Risiko liegt vollständig bei ihm. Aber: Das ist selten bei bestehenden Gebäuden, weil die Sanierung oft zu teuer ist.
Warum lohnt sich das für Gebäudeeigentümer?
Wer ein Mehrfamilienhaus besitzt, kennt das Problem: Heizungsanlagen werden alt, die Energiekosten steigen, die Mieter beschweren sich, und Fördermittel sind kompliziert zu beantragen. Contracting löst das auf einen Schlag.- Keine Investitionskosten: Die Solaranlage kostet 100.000 Euro? Der Contractor zahlt sie. Du nicht.
- Keine Wartung: Der Contractor kümmert sich um Reparaturen, Ersatzteile, Notdienst - auch bei Totalausfall.
- Keine Genehmigungen: Er holt die Baugenehmigung, meldet die Anlage beim Netzbetreiber an, beantragt die Förderung - du musst nichts tun.
- Langfristige Planungssicherheit: Du weißt, wie viel Energie du in den nächsten 15 Jahren bekommst - und zu welchem Preis.
Was bedeutet das für Mieter?
Mieter haben oft Angst: "Wird das jetzt teurer?" Die Antwort ist: Es kommt darauf an. Beim Energieliefer-Contracting wird ein fester Preis pro kWh vereinbart - meist niedriger als der aktuelle Marktpreis für Strom oder Fernwärme. Das liegt daran, dass moderne Anlagen effizienter sind und die Energiekosten des Contractors durch Einspeisung und Förderungen gedeckt werden. In Tübingen, wo ein Projekt mit 160 Wohnungen und 230 kWp Solarleistung läuft, zahlen Mieter bis zu 15 % weniger als zuvor für Strom. Aber: Das ist kein Garant. Der Preis kann sich nach Vertragslaufzeit ändern. Und wenn die Anlage schlechter arbeitet als geplant, muss der Contractor das ausgleichen - aber nur, wenn das im Vertrag steht. Viele Verträge haben Ausnahmen: "Bei extremem Wetter“ oder „bei technischen Defekten“ kann der Preis angepasst werden. Das ist legal - aber oft nicht klar genug erklärt. Wichtig: Mieter können keinen Vertrag abschließen. Nur die Eigentümer oder die WEG dürfen entscheiden. Wenn der Vermieter auf Contracting umstellt, darf er die Betriebskosten im ersten Jahr nicht erhöhen - das schreibt § 556c BGB vor. Danach wird der neue Preis als Betriebskosten umgelegt. Die Mieter müssen also nicht zahlen, aber sie müssen wissen, was sie zahlen.Was kostet das wirklich?
Der große Irrtum: "Contracting ist kostenlos." Nein. Es ist nur so, dass du nicht für die Anlage zahlst - sondern für die Energie. Und diese Energie kostet mehr als ein normaler Gasvertrag. Warum? Weil der Preis nicht nur den Brennstoff enthält, sondern auch:- Finanzierungskosten (Zinsen für die Investition)
- Planung und Genehmigung
- Installation
- Wartung und Instandhaltung
- Versicherung
- Verwaltung und Kundenbetreuung
Welche Technologien werden eingesetzt?
Nicht jede Anlage passt zu jedem Haus. Die gängigsten Lösungen:- Photovoltaik (PV): Fast immer dabei. Dachflächen werden genutzt, um Strom für die Mieter zu erzeugen. Bei 10-20 Wohnungen reichen 50-150 kWp aus. Mehr als 200 kWp lohnt sich nur mit großen Dächern oder Carports.
- Blockheizkraftwerk (BHKW): Ideal für größere Gebäude mit hohem Wärmebedarf - wie Wohnanlagen mit 30+ Wohnungen, Krankenhäuser oder Hotels. Ein BHKW erzeugt gleichzeitig Strom und Wärme. Es läuft mit Gas oder Biogas. Der Vorteil: Hohe Effizienz. Der Nachteil: Hohe Anfangskosten - genau deshalb ist Contracting hier so sinnvoll.
- Wärmepumpen: Werden seltener im Contracting verwendet, weil sie oft mit Fördermitteln finanziert werden. Aber in Kombination mit PV und BHKW sind sie eine starke Option.
Was sind die größten Risiken?
Contracting ist kein Freifahrtschein. Es gibt Risiken - und viele Eigentümer unterschätzen sie.- Vertragslänge: 15-20 Jahre sind normal. Aber was, wenn du das Haus verkaufen willst? Der neue Eigentümer muss den Vertrag übernehmen - oder eine hohe Abfindung zahlen. Das senkt den Verkaufswert.
- Preisbindung: Der Vertrag legt fest, wie der Preis berechnet wird. Oft mit einer jährlichen Anpassung nach Inflation oder Energiepreisen. Das klingt fair - aber wenn die Energiepreise fallen, bleibst du mit einem hohen Preis hängen.
- Technologieveraltung: Was, wenn die Anlage nach 10 Jahren veraltet ist? Der Contractor hat kein Interesse, sie zu ersetzen - er hat seine Kosten schon reingekriegt. Du hast dann eine alte Technik, die du nicht wechseln kannst, weil der Vertrag läuft.
- Transparenz: Viele Verträge sind undurchsichtig. Wer zahlt was? Wie wird der Preis berechnet? Was passiert bei Ausfall? Frag nach dem Rechenbeispiel - nicht nur nach dem Preis.
Wie findest du den richtigen Contractor?
Nicht jeder Contractor ist seriös. Suche nach:- Erfahrung mit Mehrfamilienhäusern: Wer nur Einfamilienhäuser macht, kennt die Komplexität nicht.
- Klare Vertragsbedingungen: Der Vertrag muss Leistung, Preis, Wartung, Ausfall, Verlängerung und Übergabe regeln - alles schriftlich.
- Referenzen: Frag nach ähnlichen Projekten in deiner Region. Besuch sie - rede mit den Mietern.
- Keine Vorauszahlungen: Ein seriöser Contractor braucht kein Geld von dir. Er finanziert selbst.
- Prüfung durch Dritte: Lass den Vertrag von einem Immobilienanwalt oder einem Energieberater prüfen. Das kostet 500-1.000 Euro - aber spart dir oft 100.000.
Was kommt als Nächstes?
Energie-Contracting wird in den nächsten Jahren noch wichtiger. Die Klimaziele, die steigenden Energiepreise und die fehlenden Investitionen in alte Gebäude zwingen zu neuen Lösungen. In Österreich ist das Modell noch nicht so verbreitet wie in Deutschland - aber es wächst schnell. Die Zukunft liegt in der Kombination: Solarstrom + BHKW + intelligente Steuerung + Mieterstrom. Und das alles ohne, dass du dich um die Technik kümmern musst. Aber nur, wenn du den Vertrag richtig verstehst. Wenn du ein Mehrfamilienhaus besitzt und überlegst, ob Contracting für dich infrage kommt: Frag nicht, ob es günstig ist. Frag: Was passiert in 15 Jahren? Wer hat die Kontrolle? Was passiert, wenn der Contractor pleite geht? Die Antworten darauf entscheiden, ob du sparst - oder fällst.Kann ich als Mieter einen Energie-Contracting-Vertrag abschließen?
Nein. Nur der Gebäudeeigentümer oder die Wohnungseigentümer-Gemeinschaft (WEG) kann einen Contracting-Vertrag abschließen. Mieter haben kein Recht, direkt mit einem Contractor zu verhandeln. Sie können jedoch über die WEG Einfluss nehmen - etwa durch Anträge auf Information oder Abstimmung. Wenn der Vermieter umstellt, muss er die Mieter informieren - und die Betriebskosten dürfen im ersten Jahr nicht erhöht werden.
Was passiert nach Ablauf des Vertrags?
Nach Ablauf der Vertragslaufzeit (meist 15-20 Jahre) geht die Anlage in der Regel kostenlos an den Gebäudeeigentümer über. Das ist ein zentraler Vorteil: Du hast keine Investition getätigt, aber du bekommst eine moderne, wartungsfreie Energieanlage - komplett bezahlt. Manche Verträge sehen eine Verlängerung vor - dann wird der Preis neu verhandelt. Wichtig: Prüfe im Vertrag, ob die Übergabe wirklich kostenlos ist und ob alle Ersatzteile und Dokumente übergeben werden.
Ist Energie-Contracting mit Fördermitteln kombinierbar?
Ja, oft sogar ideal. Die KfW fördert Solaranlagen, BHKW und energetische Sanierungen - auch wenn sie im Contracting-Modell betrieben werden. Der Contractor muss die Förderung beantragen und in den Preis einrechnen. Du als Eigentümer bekommst keinen direkten Zuschuss, aber der Vertragspreis wird niedriger, weil der Contractor die Förderung nutzt. Achte darauf, dass der Vertrag explizit erwähnt, welche Fördermittel eingereicht wurden - sonst riskierst du, dass die Anlage nicht gefördert wird.
Wie sicher ist der Contractor, wenn er pleite geht?
Ein seriöser Contractor hat eine Sicherung - oft eine Bankbürgschaft oder eine Versicherung, die den Betrieb der Anlage übernimmt, falls er ausfällt. Das ist in guten Verträgen verpflichtend. Frag nach: "Wer übernimmt die Wartung, wenn Sie nicht mehr existieren?" Ein Anbieter, der das nicht erklären kann, ist kein verlässlicher Partner. In Österreich gibt es auch Branchenverbände wie das Bundesverband Energie-Contracting (BEC), die Mitglieder überwachen - wähle einen, der Mitglied ist.
Warum ist BHKW-Contracting nur für Mehrfamilienhäuser sinnvoll?
Ein Blockheizkraftwerk braucht viel Wärme - und die wird in Einfamilienhäusern kaum gebraucht. Ein BHKW läuft am effizientesten, wenn es fast rund um die Uhr läuft. In einem Haus mit 5-10 Wohnungen ist das möglich. In einem Einfamilienhaus mit 1-2 Personen nicht. Der Energiebedarf ist zu gering, die Anlage würde oft stillstehen - und das kostet mehr als es bringt. Deshalb ist BHKW-Contracting nur in Mehrfamilienhäusern, Wohnsiedlungen oder öffentlichen Gebäuden wirtschaftlich.
Geschrieben von David Loidolt
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