Was verbirgt sich hinter DIN 18040 - und warum sollte es Sie als Hausbauer interessieren?
Stellen Sie sich vor, Sie bauen ein Einfamilienhaus - für sich, Ihre Familie, vielleicht auch für Ihre Eltern, die mit der Zeit weniger mobil werden. Sie wollen ein Zuhause, das lange hält. Nicht nur baulich, sondern auch menschlich. Hier kommt DIN 18040 ins Spiel. Es ist nicht nur eine technische Norm, sondern ein Bauplan für ein Leben in Selbstbestimmung - egal, ob Sie im Rollstuhl sitzen, schlecht sehen, schwer hören oder einfach nur einen Kinderwagen schieben.
DIN 18040 ist die deutsche Norm für barrierefreies Bauen. Sie ist in drei Teile aufgeteilt: Teil 1 für öffentliche Gebäude, Teil 3 für Straßen und Parks, und Teil 2 - das ist das Wichtigste für Sie - für Wohnungen. Und ja, das gilt auch für Ihr Einfamilienhaus. Die Norm legt fest, wie Türen, Flure, Bäder und Eingänge beschaffen sein müssen, damit sie für alle nutzbar sind. Nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern auch für Ältere, Kinder, Schwangere oder Menschen mit Einkaufstaschen.
Die Norm ist kein Vorschlag. Sie ist die Grundlage für viele Bauvorschriften in Deutschland. In Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württemberg ist sie verbindlich. Andere Bundesländer folgen ihr zumindest als Mindeststandard. Wer sie ignoriert, baut nicht nur unsicher - er baut auch wertlos. Denn ein Haus, das nicht barrierefrei ist, wird im Alter teuer nachgerüstet. Und wer heute baut, sollte nicht nur an heute denken.
Der Mindeststandard: Was muss Ihr Einfamilienhaus mindestens können?
Der einfachste Weg, DIN 18040-2 zu erfüllen, ist der Mindeststandard: barrierefrei nutzbar. Das klingt nach wenig, ist aber schon ein großer Schritt. Hier sind die zentralen Punkte:
- Zugang zum Haus: Keine Stufen, keine Schwellen. Der Eingang muss stufenfrei sein. Das bedeutet: Eine Rampe, eine absenkbarer Bordstein oder eine ebenerdige Tür. Die lichte Breite muss mindestens 90 cm betragen - das ist die schmalste Stelle, durch die jemand mit Rollstuhl, Gehhilfe oder Kinderwagen passen muss.
- Türen im Inneren: Alle Türen, die zum Wohnbereich führen, müssen mindestens 90 cm breit sein. Das gilt für die Eingangstür, die Tür zum Bad, zum Schlafzimmer, zur Küche. Keine engen Durchgänge. Keine Schiebetüren, die nur 70 cm freigeben. Die Türhöhe muss 205 cm betragen. Höher ist besser - für Menschen mit langen Rollstuhlarmen oder Personen mit körperlicher Beeinträchtigung.
- Türgriffe: Drehknäufe und Kugelgriffe sind verboten. Sie sind für Menschen mit eingeschränkter Handkraft oder Arthrose unbrauchbar. Erlaubt sind nur Handgriffe, die sich mit einer flachen Hand bedienen lassen - also Flachgriffe, Drücker oder Hebel. Die Montagehöhe muss zwischen 85 und 105 cm liegen. Und sie müssen kontrastreich sein: Ein schwarzer Griff auf weißer Tür - das hilft Menschen mit Sehbehinderung, die Tür zu erkennen.
- Flure und Räume: Der Durchgang zwischen Räumen muss mindestens 120 cm breit sein. Das ist der Platz, den ein Rollstuhl braucht, um sich zu drehen. In der Küche und im Bad braucht man sogar 150 cm, wenn man dort drehen will. Aber auch im Flur: 120 cm sind Pflicht, nicht Luxus.
Das klingt nach viel? Es ist nicht viel. Es ist das Minimum. Und es kostet im Neubau nur 5 bis 8 % mehr als ein normales Haus. Aber es verändert alles. Ein Haus, das diese Anforderungen erfüllt, ist ein Haus, das für 50 Jahre gebaut ist - nicht nur für die nächsten fünf.
Der R-Standard: Was braucht man, wenn man wirklich rollstuhlgerecht bauen will?
Der Mindeststandard ist gut. Aber er ist kein Traum. Der R-Standard - barrierefrei für Rollstuhlnutzung - ist das, was echte Unabhängigkeit bedeutet. Hier wird das Haus nicht nur nutzbar, sondern wirklich bewohnbar für Menschen mit schweren motorischen Einschränkungen.
- Türbreiten: Alle Türen müssen mindestens 150 cm breit sein. Das ist nicht mehr eine Öffnung - das ist ein Durchgang. Ein Rollstuhl mit 70 cm Breite braucht mindestens 80 cm Spielraum, um problemlos durchzukommen. Bei 150 cm kann man sogar mit einem breiten Elektrorollstuhl oder einer Mobilitätsplattform durchfahren.
- Räume: In Wohn- und Schlafzimmern muss ein Kreis mit 150 cm Durchmesser frei sein - damit ein Rollstuhlfahrer sich drehen kann, ohne sich an Möbeln zu stoßen. In der Küche braucht man mindestens 120 cm Platz vor dem Herd und der Spüle. Und der Boden muss glatt, rutschfest und ohne Kanten sein. Keine Teppiche, keine hohen Fußleisten.
- Bad: Das Badezimmer wird zum Herzstück. Es braucht mindestens 150 x 150 cm Platz für die Drehung. Die Dusche muss ebenerdig sein - keine Schwelle, kein Schritt. Ein fest installierter Duschsitz ist Pflicht. Die Toilette muss seitlich frei zugänglich sein, mit Haltegriffen an beiden Seiten. Die Waschbecken sind niedriger, mit Freiraum darunter - damit man mit dem Rollstuhl darunterfahren kann. Die Heizkörper sind abgesenkt, damit sie nicht im Weg sind.
- Elektrik und Technik: Steckdosen müssen zwischen 30 und 120 cm hoch sein. Lichtschalter auf 100 cm. Alles muss mit einer Hand zu bedienen sein. Und: Die Elektroinstallation muss vorbereitet sein - für spätere Aufzüge, Lifte oder automatische Türen. Wer heute nicht vorbereitet, zahlt später 20.000 Euro Nachrüstkosten.
Der R-Standard kostet mehr. Mehr Platz. Mehr Material. Mehr Planung. Aber er macht Ihr Haus für die nächste Generation wertvoll. Und er ist oft günstiger, als man denkt. Denn wenn Sie von Anfang an bauen, müssen Sie später nicht die Wände aufbrechen, die Fußböden entfernen oder die Türen austauschen. Sie bauen es richtig - einmal.
Warum ist DIN 18040 nicht überall Pflicht - und was bedeutet das für Sie?
Die Norm selbst ist nicht automatisch Gesetz. Sie wird erst durch die Landesbauordnungen verbindlich. Das ist der große Haken. In einigen Bundesländern gilt sie nur für öffentliche Gebäude. In anderen, wie Nordrhein-Westfalen, ist sie seit 2023 für alle neuen Wohngebäude mit bis zu zwei Wohneinheiten verpflichtend - also auch für Ihr Einfamilienhaus.
Das bedeutet: Wenn Sie in NRW bauen, müssen Sie DIN 18040-2 erfüllen. In Bayern oder Baden-Württemberg auch. In Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern nicht. Aber: Selbst wenn es nicht verpflichtend ist, sollten Sie es tun. Warum?
Erstens: Die Nachfrage steigt. 78 % der Befragten in einer Umfrage sagten, sie würden bis zu 10 % mehr für ein barrierefreies Haus zahlen. Zweitens: Die Kosten für Nachrüstungen im Alter liegen bei durchschnittlich 38.500 Euro. Drittens: Die Kommunen verändern sich. 68 % der deutschen Städte verlangen heute bereits, dass mindestens 10 % aller neuen Einfamilienhäuser barrierefrei sind. Das wird sich bis 2027 auf 30 % erhöhen.
Wenn Sie heute nicht nach DIN 18040 bauen, bauen Sie ein Haus, das in zehn Jahren nicht mehr marktfähig ist. Es wird schwerer zu verkaufen. Teurer zu modernisieren. Und weniger wertvoll.
Was kommt als Nächstes? Die neue DIN 18040 und die EU-Norm
Die Norm wird sich verändern. Der Normenausschuss Bauwesen hat 2023 angekündigt, dass eine überarbeitete Fassung von DIN 18040-2 im Jahr 2025 erscheinen wird. Der Fokus liegt dann stärker auf kognitiven Einschränkungen - also auf Menschen mit Demenz, Autismus oder Lernschwierigkeiten. Was bedeutet das? Dass Lichtschalter nicht nur gut greifbar sein müssen, sondern auch klar beschriftet. Dass Farben kontrastreicher sein müssen. Dass Badezimmer nicht nur rollstuhlgerecht, sondern auch verständlich gestaltet werden müssen.
Dazu kommt die EU-Norm prEN 17210, die ab 2026 schrittweise in Deutschland eingeführt wird. Sie wird die DIN 18040 nicht komplett ersetzen, aber sie wird sie ergänzen und vereinheitlichen. Wer heute nach DIN 18040 baut, baut nicht nur national - er baut zukunftssicher.
Was kostet es - und lohnt sich das?
Ein barrierefreies Einfamilienhaus nach Mindeststandard kostet 5 bis 8 % mehr als ein normales Haus. Das sind bei einem Baukosten von 400.000 Euro zwischen 20.000 und 32.000 Euro. Der R-Standard kostet 10 bis 15 % mehr - also 40.000 bis 60.000 Euro.
Das klingt viel. Aber rechnen Sie anders: Was kostet es, wenn Sie mit 70 Jahren plötzlich einen Rollstuhl brauchen? Dann müssen Sie die Türen austauschen, die Badewanne durch eine ebenerdige Dusche ersetzen, den Boden abtragen, die Steckdosen verlegen, eine Treppenliftanlage installieren - und das alles, während Sie krank sind, müde, und nicht mehr selbst entscheiden können. Die Deutsche Rentenversicherung rechnet mit 38.500 Euro durchschnittlichen Nachrüstungskosten. Das ist mehr als die Mehrkosten für den Mindeststandard.
Und dann ist da noch der Wert. Ein barrierefreies Haus ist attraktiver für Mieter, Käufer, Familienmitglieder. Es ist ein Haus, das flexibel bleibt. Das sich anpasst. Das nicht veraltet. Die Deutsche Gesellschaft für barrierefreies Bauen hat bis August 2023 287 Einfamilienhäuser nach DIN 18040-2 zertifiziert - und die Zahlen steigen jedes Jahr um 43 %. Das ist kein Nischenmarkt. Das ist die Zukunft.
Wie fangen Sie an? Drei Schritte für Ihren Bau
- Planen Sie früh: Sprechen Sie mit Ihrem Architekten oder Bauingenieur über DIN 18040-2 - von Anfang an. Nicht als Nachtrag. Nicht als Bonus. Als Grundlage. Die Planungszeit erhöht sich um 3 bis 4 Wochen - aber das spart später Monate und Tausende.
- Wählen Sie den richtigen Standard: Brauchen Sie den R-Standard? Oder reicht der Mindeststandard? Wenn Sie Kinder haben, ältere Eltern im Haus oder planen, länger dort zu leben - dann ist der R-Standard die bessere Wahl. Wenn Sie unsicher sind: Bauen Sie mit Vorbereitung. Legen Sie die Elektroinstallation so an, dass später ein Lift nachgerüstet werden kann. Bauen Sie die Wände so, dass Haltegriffe eingebaut werden können. Das kostet wenig, bringt viel.
- Prüfen Sie vor der Baugenehmigung: Lassen Sie Ihren Plan von einem barrierefreien Experten prüfen. Es gibt Zertifizierungsstellen, die die Einhaltung der DIN 18040-2 bestätigen. Das ist kein Luxus - das ist eine Versicherung. Gegen Fehler, gegen Nachbesserungen, gegen teure Überraschungen.
Ein barrierefreies Haus ist kein Luxus. Es ist eine kluge Investition. In Ihre Gesundheit. In Ihre Unabhängigkeit. In den Wert Ihres Zuhause. Und in die Zukunft - für Sie und für die, die nach Ihnen kommen.
Geschrieben von Jens Schreiber
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