Ein Altbausanierung ist kein einfacher Renovierungsjob. Wer ein Haus aus den 50er, 60er oder 70er Jahren kauft, denkt oft an neue Böden, frische Farbe und einen modernen Badumbau. Doch hinter der alten Tapete, unter dem Fußboden oder in den Dachsparren lauern Gefahren, die niemand sieht - bis es zu spät ist. Asbest, PCB, Holzschutzmittel und andere Schadstoffe sind in Millionen deutschen Altbauten noch immer verbaut. Und sie machen aus einer geplanten Sanierung eine teure, zeitaufwendige und manchmal gesundheitlich gefährliche Herausforderung.
Was verbirgt sich wirklich in Ihrem Altbau?
Wenn Ihr Haus vor 1990 gebaut wurde, ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Schadstoffen belastet. Das ist kein Mythos - das ist Statistik. Laut dem Bundesministerium für Wohnen sind über 12 Millionen Wohnungen in Deutschland vor 1979 errichtet worden. Und in fast jeder zweiten davon steckt Asbest. Es war damals das „Wundermaterial“: feuerfest, billig, langlebig. Man fand es in Dachplatten, Fliesenklebern, Rohrisolierungen, Brandschutzplatten und sogar in Putz. Bis 1993 war es legal - und danach wurde es einfach vergessen.
PCB (polychlorierte Biphenyle) ist ein weiterer unsichtbarer Feind. Diese Chemikalien wurden von den 50er bis Ende der 70er Jahre in Fugenmassen, Dichtungen und Dachabdichtungen verwendet. Sie sind krebserregend - und das schon bei winzigen Mengen. Ein Tropfen in der Luft reicht, um die Grenzwerte zu überschreiten. Heute sind diese Materialien spröde geworden. Beim Bohren, Sägen oder Abriss lösen sie sich in feinen Partikeln ab - und landen in der Luft, auf Möbeln, in der Kleidung. Oft merkt man nichts, bis die Laborergebnisse kommen.
Und dann gibt es noch PCP (Pentachlorphenol), ein Holzschutzmittel, das bis 1980 in Balken, Dachstühlen und Fensterrahmen gesprüht wurde. Es riecht nach Kerosin, wenn es warm wird - und es greift die Leber und Nieren an. Lindan, ein Insektizid, das man in Holz und Wänden versprühte, ist neurotoxisch. Formaldehyd in Spanplatten aus den 60er Jahren setzt sich bei Raumtemperatur über 25°C frei und führt zu Atembeschwerden. Und PAK (polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe) in alten Teerdichtungen? Die erhöhen das Lungenkrebsrisiko um 300 %, wenn man sie beim Abriss freisetzt.
Warum sind Überraschungen so häufig?
Die meisten Hausbesitzer gehen davon aus, dass sie den Zustand ihres Hauses kennen. Aber das ist eine Illusion. Schadstoffe sind nicht sichtbar. Sie sitzen hinter Putz, unter Fliesen, in der Dämmung zwischen den Wänden. Ein Bodenbelag aus den 70ern mag sauber wirken - doch der Kleber darunter könnte PCB enthalten. Ein Dach aus Zementplatten sieht aus wie Beton - aber es ist Asbestzement. Und wenn man den Putz abklopft, um eine neue Leitung zu legen, wird plötzlich Staub freigesetzt, der seit 40 Jahren unberührt war.
Ein Fall aus München: Ein Tischler hat 2024 in einem Haus aus 1963 Holzbalken ausgetauscht. Er dachte, es sei normales Holz. Doch die Balken waren mit PCP behandelt. Die Entsorgung kostete 42.000 Euro - dreieinhalbmal so viel wie geplant. Der Auftrag war ein Verlustgeschäft. So etwas passiert täglich. Die Sanierungsbranche spricht von einer „zweiten Altlastenwelle“. Denn viele Schadstoffe werden erst entdeckt, wenn die Sanierung schon läuft. Dann ist es zu spät, um den Plan zu ändern - und zu teuer, um aufzuhören.
Und es kommt noch schlimmer: Sekundärkontamination. Das heißt: Schadstoffe, die von einer belasteten Stelle auf andere Materialien übertragen werden. Ein Beispiel: Sie entfernen eine PCB-belastete Fuge im Bad. Der Staub setzt sich auf den neuen Fliesen, auf den Boden, auf die Heizkörper. Die Fliesen selbst waren sauber - doch jetzt sind sie kontaminiert. Und müssen auch entsorgt werden. Das passiert in 68 % aller Sanierungen vor 2020. Und es ist kaum zu kontrollieren, wenn man nicht mit speziellen Schutzmaßnahmen arbeitet.
Wie viel kostet das wirklich?
Ein klassisches Szenario: Sie planen eine Sanierung mit 80.000 Euro Budget. Alles ist berechnet: neue Fenster, Dämmung, Elektrik, Bad. Dann finden Sie Asbest in der Dachdeckung - 150 kg davon. Nach der TRGS 519 müssen Sie eine spezialisierte Firma beauftragen. Die Entsorgung kostet zwischen 1.200 und 2.500 Euro pro Kubikmeter. Das sind plötzlich 40.000 Euro mehr. Und das ist nur der Anfang.
PCB-Entfernung kostet durchschnittlich 200 Euro pro Quadratmeter. Holzschutzmittel wie PCP oder Lindan erfordern spezielle Reinigungsverfahren - und oft den Austausch ganzer Balken. Formaldehyd lässt sich nicht einfach „rauswaschen“. Man muss die gesamte Spanplattenküche austauschen. Und wenn Sie dann noch PAK in den alten Dachabdichtungen finden? Das ist eine weitere Kostenfalle. Die Gesamtkosten für ein Einfamilienhaus aus den 50er Jahren können leicht 140.000 Euro überschreiten - und das nur für die Schadstoffbeseitigung. Die Energieeffizienz-Maßnahmen nach dem GEG kommen dann noch dazu.
Die Zahlen sind erschreckend: 40 % aller Sanierungsbudgets werden durch unerwartete Schadstoffe überzogen. Und 30 % der Projekte laufen über 100.000 Euro über dem ursprünglichen Plan. Die meisten Hausbesitzer haben kein finanzielles Polster für solche Überraschungen. Und die Banken zahlen nicht für Asbest. Sie finanzieren nur, was im Bauplan steht.
Wie schützen Sie sich vor dem finanziellen Absturz?
Die einzige echte Absicherung ist eine Voruntersuchung - und zwar bevor Sie einen Hammer ansetzen. Ein Schadstoffgutachten kostet zwischen 250 und 800 Euro, je nach Größe und Alter des Hauses. Das ist kein Luxus. Das ist Versicherung. Eine Studie des ifo Instituts zeigt: 74 % der unerwarteten Sanierungsstillstände lassen sich durch eine Voruntersuchung vermeiden. Und 89 % der Hausbesitzer, die vorab testen lassen, berichten, dass sie so Kostenüberschreitungen um 62 % reduziert haben.
Was gehört dazu? Drei Schritte:
- Baujahr-Analyse: Welches Jahr wurde das Haus gebaut? Das sagt Ihnen, welche Materialien wahrscheinlich drin sind. Haus aus den 50ern? PCP und Lindan. 60er? Asbest und Formaldehyd. 70er? Asbest, PCB, PAK.
- Raumluftmessung: Ein Lufttest zeigt, ob Schadstoffe bereits in der Luft sind - besonders wichtig, wenn Sie Kinder haben oder Allergien. Die Grenzwerte für PCB sind extrem niedrig: 0,005 mg/m³. Ein Test kostet 300-500 Euro.
- Materialproben vor Abriss: Nehmen Sie kleine Proben aus verdächtigen Stellen: Dachplatten, Fliesenkleber, Dämmung, Holzbalken. Die schicken Sie an ein Labor. Die Ergebnisse liegen in 5-10 Tagen vor. Dann wissen Sie genau, was Sie vor sich haben - und können den Sanierungsplan anpassen.
Und vergessen Sie nicht: Nur zertifizierte Fachfirmen dürfen Schadstoffe entfernen. Wer das selbst macht, riskiert nicht nur seine Gesundheit - sondern auch Bußgelder bis zu 50.000 Euro. Die TRGS 521 verlangt detaillierte Dokumentation. Ohne Protokolle, Fotos und Nachweise wird es teuer - und rechtlich riskant.
Was passiert, wenn Sie nichts tun?
Manche glauben, „wenn es nicht wehtut, ist es nicht gefährlich“. Das ist falsch. Asbest verursacht Lungenkrebs - aber erst nach 20 bis 40 Jahren. PCB schädigt die Leber und das Immunsystem - langsam, unauffällig. PCP belastet die Nieren. Die Symptome kommen erst, wenn es zu spät ist. Und dann ist es nicht mehr nur eine Sanierungsfrage - es ist eine medizinische Notlage.
Und es gibt noch einen anderen Preis: Der Wert Ihres Hauses. Ein Haus mit bekanntem Asbest oder PCB ist schwer zu verkaufen. Käufer zahlen weniger. Banken verweigern Kredite. Versicherungen schließen Schadstoffrisiken aus. Sie haben ein Haus, das Sie nicht mehr verkaufen können - und das immer teurer wird, wenn Sie es behalten.
Die Bundesregierung plant bis 2025 eine digitale Altlastenakte für alle Gebäude vor 1990. Das heißt: In Zukunft wird jeder, der Ihr Haus kauft, wissen, welche Schadstoffe drin sind. Wenn Sie nichts dokumentieren, wird das Haus als „risikobehaftet“ eingestuft - und das senkt den Wert. Gute Vorbereitung ist also auch eine Investition in Ihren Vermögenswert.
Was kommt als Nächstes?
Ab 2026 wird das neue Chemikalienverbotsrecht gelten. Dann müssen alle Gebäude vor 1990 vor jeder Sanierung auf 12 Schadstoffgruppen geprüft werden. Das ist kein Vorschlag - das ist Gesetz. Wer das ignoriert, riskiert Strafen, Haftung und Sanierungsstopps. Die Handwerksbranche ist darauf nicht vorbereitet. Nur 12 % der Betriebe haben geschultes Personal für Schadstoffe. Die Wartezeiten für Fachfirmen liegen bei 8-12 Wochen. Wenn Sie jetzt nicht anfangen, werden Sie in zwei Jahren noch länger warten müssen.
Und es gibt Hoffnung: Forscher vom Fraunhofer IBP testen seit März 2024 ein Laserverfahren, das PCB in der Wand neutralisiert - ohne Abriss. Das könnte die Kosten um 60 % senken. Aber das ist noch nicht serienreif. Bis dahin bleibt nur eines: vorausschauend handeln.
Ein Altbau ist kein Problem - er ist eine Herausforderung. Wer ihn sanieren will, muss bereit sein, die verborgenen Kosten zu kennen. Wer nicht testet, zahlt doppelt. Wer nicht plant, verliert. Und wer nicht handelt, riskiert seine Gesundheit - und den Wert seines Hauses.
Geschrieben von Jens Schreiber
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